Tatjana Dattschenko.
MOSKAU IM SCHNELLEN DREIVIERTELTAKT (6. WIENER BALL IN MOSKAU)
Wer haette vor 20 Jahren an so etwas geglaubt? Noch bemerkenswerter ist, dass dieses
faszinierende Ereignis in Russland bereits zur Tradition wurde: am 6. Juni fand der
Wiener
Ball in Moskau zum sechsten Mal statt. Als Vorbild diente der Wiener Opernball -
ein Stueck oesterreichischer Geschichte und Kulturgut. Wie im Vorjahr lud die Grosse
Manege
zum Tanzen ein: das 1817 nahe dem Kreml fuer Militaerparaden erbaute Gebaeude bot
Platz genug fuer eine Buehne, 150 Gaestetische (jeweils fuer 10 Personen) und eine
geraeumige
Tanzflaeche, ueber die 102 Debuetanten-Paare grazioes und unbeschwert schweben konnten.
Die Idee des Wiener Balls in Moskau entstand vor sechs Jahren beim Besuch des damaligen
Bundeskanzlers Wolfgang Schuessel. Seitdem wird die Veranstaltung unter der Schirmherrschaft
der Regierung Moskaus, des Magistrats der Stadt Wien sowie der oesterreichischen
Botschaft in Russland durchgefuehrt und traditionell als kulturelle Verbindungskette
von Wiener
und Moskauer Stadtoberhaeuptern persoenlich begruesst.
Grundsaetzlich haben Eroeffnungen etwas Positives. Eroeffnen kann man Kaufhaeuser,
Testamente, Parteitage und natuerlich sich selbst, so im Buch Vom Mythos des Walzertanzes.
Das Angenehmste ist moeglicherweise einen Ball zu eroeffnen. In diesem Jahr hat das
Ballkomitee aus mehr als 1000 Anmeldungen je 100 junge Damen und Herren ausgewaehlt,
die
den Ball unter der feierlichen Faecherpolonaise von Carl Michael Ziehrer eroeffnen
durften. Die meisten Debuetanten/Innen studieren an Moskauer Elite-Hochschulen, u.a.
MGU,
Baumann-Universitaet, Plechanow-Akademie. Wien war mit drei braven oesterreichischen
Gardesoldaten vertreten, den laengsten Anfahrtsweg - beinah 4000 km - hatte offenbar
eine
Taenzerin aus Gorno-Altaisk hinter sich. Miss Russian Beauty Alexandra Mazur duerfte
auf dem Ball wohl die schoenste Debuetantin gewesen sein.
Obwohl der Ball unter Diplomaten, Unternehmern, Kuenstlern, Sportlern und Politikern
sehr beliebt ist, haelt Organisatorin Elisabeth Smagin nach wie vor fuer wichtig,
den
Gaesten ein elegantes Ambiente zu bieten, deshalb gibt es keine PR-Initiativen mit
Stargaesten. Da in diesem Jahr der Ball mit dem Geburtstag des russischen Dichters
Alexander
Puschkin zusammenfiel, wurden zwei Gaeste extra vorgestellt: Michael Fuchs, ein bekannter
Wiener Maler, der sein Puschkin-Portrait als Geschenk an die Stadt Moskau uebergab,
sowie Nicolaus von Rintelen, Deutscher mit russischer Seele, ein direkter Nachkomme
von Puschkin und dem Zaren Alexander II. Als Hommage an den grossen Dichter kreierte
das
Moskauer Alexander-Puschkin-Museum die Ausstellung Puschkin auf den Baellen, und
das Russische Symphonische Orchester unter Leitung des Staatsoperndirigenten Alfred
Eschwe
praesentierte das Puschkin-Programm aus Tschaikowsky-Opernarien mit hochkaraetigen
Saengern. In der russischen Metropole bleibt der Wiener Walzer der Koenig aller Taenze.
Nach dem Alles Walzer schlossen sich viele von 1600 Gaesten den Debuetanten an. Mit
voller Hingabe wurden auch Polka, Galopp, Foxtrott, Tango, Rumba, Cha-cha-cha getanzt.
Punkt 00 Uhr kamen mehr als Tausend Gaeste mit Juri Luschkow an der Spitze auf das
Parkett, um die russische Quadrille aufzufuehren. Ein Tanz fuer das Guinnessbuch
der Rekorde.
Nicht alle tanzten in dieser rauschenden Ballnacht, denn es gab einen wesentlichen
Ueberhang an Damen; ganz verstaendlich, viele Muetter waren im Saal - weinend beim
Anblick
ihrer ganz in Weiss (andere Farbnuancen sind ausgeschlossen) gekleideten und mit
Swarovski-Kronen geschmueckten Toechter.
Auf das Essen kommt es bei den Baellen selten an. Schade, dass zu den Sponsoren der
sibirische Wodka Beluga sowie Oesterreichs Wein Nr. 1 Lenz Moser gehoerten, nicht
aber
das Wasser Roemerquelle: Saft- und Wasservorraete wurden von den durstigen Balldebuetanten
schnell ausgetrunken.
Trotz der teuren Eintrittskarten von 9 bis 38 Tausend Rubel (ein Teil der Einnahmen
kommt sozialen Projekten zugute) wirkt der Wiener Ball an der Moskwa nicht als High-Society-Event,
sondern als lockeres und ungezwungenes Beisammensein, wobei es dank der strengen
Kleiderordnung weder Dienstposten noch Nationalitaet auf den ersten Blick zu erkennen
sind.
Wie bekannt gilt Tanzen als ein weltweit verstaendliches Esperanto. Shall we dance?